Heilung ist ein innerer Prozess. Wir können ihn von außen nicht machen, nicht beschleunigen, nicht forcieren. Es ist wie mit dem Gras, das nicht schneller wächst, wenn man daran zieht. Es wächst, weil es sich auf eine Weise nach Licht und Nahrung sehnt – so wie wir Menschen uns danach sehnen, frei und glücklich zu sein. Zugleich ist Heilung kein passiver Zustand, in dem wir nur abwarten müssen, damit sie vom Himmel fällt. Was hilft der Heilung? Vielleicht können wir auch in dieser Sache etwas von den Kindern lernen.

Wenn Kinder schwierige oder schmerzliche Erfahrungen gemacht haben, suchen sie nach Erfahrungen, die sie wieder ins innere Gleichgewicht bringen. Vom ersten Tag an, ja bereits vor der Geburt, scheinen sie intuitiv zu wissen, was ihnen hilft, unangenehme Erfahrungen zu verarbeiten und schwierige Emotionen zu heilen. Ob sie vielleicht ein Wissen um die Kraft, die heilt, mit auf die Welt bringen? Ob sie wissen, wie sie Eltern dazu bringen, alles stehen und liegen zu lassen und ihr Kind zu wiegen und zu tösten? Oder ob sie den Weg kennen, in erschöpften Eltern doch immer wieder Liebe und Dankbarkeit zu wecken, die wichtigsten Voraussetzungen für Heilung? Auf jeden Fall sind Kinder am Prozess der Heilung nicht passiv, sondern vom ersten Tag an aktiv beteiligt.

Vielleicht wissen sie: Heilkraft entsteht aus der achtsamen, vertrauensvollen Begegnung. Es braucht die Bereitschaft, sich vom Herzen her zuzuwenden. Einen Ort der Sicherheit, an dem wir nicht gedrängt, verurteilt, belehrt oder beschuldigt werden. Heilkraft entsteht, wenn Intention, Liebe, Offenheit und Freundlichkeit da sind. Vier Zutaten, die im Inneren entstehen und nicht in Pillenform gekauft werden können.

Kinder scheinen auch zu wissen: damit Heilkraft entstehen kann, braucht es ein Gegenüber. Dieses Gegenüber, und da können wir viel von den Kindern lernen, kann ein Baum sein, ein Kiesel, ein Stock, ein Blatt. Im Spiel der Kinder werden sie lebendig, es entsteht eine Beziehung zu diesem einen Kiesel, einem von vielen – und doch einzigartig in seinem Wesen. Aus solchen Begegnungen schöpfen Kinder neue Kraft, im Zusammensein mit Stock und Kiesel werden Eindrücke und Erlebnisse verarbeitet und integriert – weil Stock und Kiesel für Kinder keine toten Gegenstände, sondern belebte Wesen sind. In der Begegnung mit ihnen können schwierige Erfahrungen überwunden werden heilen.

Kleine Kinder haben zudem oft Zugang zu Helfern, die Erwachsene nicht sehen. Auch sie existeren in der Welt der Kinder als lebendige Wesen. Manche Kinder haben Zugang zu verstobenen Ahnen, zu Feen, Engeln oder anderen Wesen, die sie begleiten und durch die sie Unterstützung erfahren. In unserer Kultur wird dieses innere Sehen meist nicht bestätigt, es geht dann verloren. Im Zusammensein mit Kindern können wir Erwachsene unsere eigene Wahrnehmung wieder schulen. Und was auch immer wir als Eltern finden, Gott, einen schützenden Engel, eine größere Weisheit oder ein helles Licht – es ist jederzeit erlaubt, diese als ein lebendiges Gegenüber um Hilfe zu bitten!

Aus Vorstellung und Intention entsteht Heilung. Schwer erkrankte Menschen, die „Wunderheilung“ erlebt haben, berichten oft, dass sie sich den Zustand der Gesundwerdung immer wieder lebendig, in allen Farben und mit allen positiven Emotionen herbeigefühlt haben. So weit, dass die eigentliche Erkrankung nicht mehr im Mittelpunkt des Erlebens stand. Ihre Vorstellung von Heilung war stärker als ihre Vorstellung von Krankheit.

Kindern fällt es auf jeden Fall nicht schwer, innere Bilder entstehen zu lassen und sich mit Heilkraft zu verbinden. Und: sie bringen eine Heilkraft zu uns in die Welt. Die Kraft ihrer Liebe und ihr Wunsch, mit uns in Verbindung zu sein, heilt. Die Art, wie sie uns und die Dinge betrachten, die Weisheit, die ihnen oft zueigen ist und das Verständnis, das sie uns entgegen bringen, heilt uns alle.

Es wäre an uns Erwachsenen, Bedingungen zu schaffen, die es Kindern erlaubt, sich nach schwierigen Erfahrungen das zu tun, was sie heilt. Es braucht Raum für Begegnung und Trost, für freies Spiel, Phantasie, Kreativität, Naturerfahrung und Spiritualität. Und es braucht Zeit, um einander zu heilen und Heilung geschehen zu lassen. Es braucht aber auch unsere Intention, unsere Ausrichtung, unsere Tatkraft. Alles, was der Heilung hilft, sollte in die Welt gebracht werden, auch die allerkleineste Geste wird gebraucht.

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